Das Rebus von Saint-Grégoire-du-Vièvre

English version: here.

Als ich den Wikipedia Artikel über Saint-Grégoire-du-Vièvre schrieb, stolperte ich über das Rätsel um ein Rebus aus dem 16. Jahrhundert an der Fassade der Kirche. Saint-Grégoire-du-Vièvre hat heute 342 Einwohner und es war niemals eine große oder wichtige Ortschaft. Es liegt ein paar Kilometer nördlich von hier. Falls ich jemals das Auto importiert bekomme, werd ich sofort hinfahren und Fotos machen. Bis dahin müssen Heliografien von anno 1888 ausreichen.

Edit: Ich fuhr heute Abend noch mit einem Bekannten aus dem Dorf los. Er hatte meinen Artikel gesehen und sich über die mangelnde Qualität der Fotos beschwert.

Das Bilderrätsel aus dem 16. Jahrhundert. Eigenes Foto auf Wikimedia Commons, Lizenz: CC0 / Creative Commons zero public domain dedication/ gemeinfrei

Generationen von zumeist ortsansässigen Historikern oder anderen seltsamen Leuten haben versucht das Rebus zu entziffern. Es bedeutet etwa: “le monde est corrompu et faux sal” (ja, das ist in Französisch, nicht sehr überraschend bei einer französischen Kirche), übersetzt: ‘Die Welt ist korrupt und falsch sal’. Keine Ahnung, was “sal” heißen soll. ich würd sagen, das sind die Initialen des Autors.

Arthur Join-Lambert (1839–1917) hat seine Sicht der Dinge 1888 publiziert. “Le” (‘Der’) Reichsapfel steht für die Welt oder die christliche Welt. Es folgt das Wort “est” (‘ist’), dann ein unterbrochenes oder gebrochenes Horn (Musikinstrument, frz. “cor”). “Rompu” ist das Partizip von “rompre” (brechen, abbrechen).

Grab von Arthur Join-Lambert auf dem Friedhof von Livet-sur-Authou. Das liegt ein bisschen nordöstlich von hier. Eigenes Foto auf Wikimedia Commons, Lizenz: CC0/ Creative Commons CC0 1.0 Universal Public Domain/ gemeinfrei

Join-Lambert behauptete, dass die 16 schwarzen und weißen Steinchen das 16. Jahrhundert symbolisieren. ‘Die christliche Welt im 16. Jahrhundert ist korrupt und falsch sal.’ Das würde sich auf die Hugenottenkriege (1562–1598) beziehen und wäre gar nicht so weit hergeholt. Ulkigerweise gehörte Saint-Grégoire-du-Vièvre vom 14. bis 16. Jahrhundert, den Bourbonen. Letzter König der zugleich der Seigneur von Saint-Grégoire-du-Vièvre war, war Heinrich IV. (1553–1610). Er war Hugenotte und als solcher in die Kriege um Protestantismus und Katholizismus involviert.

Größere Ortschaften in der Region, zum Beispiel Bernay und Pont-Audemer wurden um 1590 angegriffen. Mal von den Hugenotten, mal von den Katholiken. Das Ergebnis war eh das gleiche. Die Soldaten plündern, die Einwohner sterben.

Das Rebus und der Ritter, der seinem Pferd hinterherläuft. Lizenz: public domain/ gemeinfrei

Dann folgt “et” (‘und’) und eine gut erkennbare Sense (“faux)”. “Faux” ist ein Homonym und bedeutet sowohl Sense als auch falsch. Join-Lambert dachte, dass es auch etwas ganz anderes meinen kann, etwas, dass nur so klingt wie “faux”, zum Beispiel “faut” 3. Person singular von “falloir”, ‘müssen’, ‘brauchen’. Keine Ahnung wieso er meint, es müsse eine andere Bedeutung haben, als die offensichtliche. ‘Die christliche Welt im 16. Jahrhundert ist korrupt und man muss sal’? Das ergibt keinen Sinn. Um das zu erklären, schweift er noch weit mehr ab und behauptet, dass die Freimaurer das Rätsel gemacht hätten und dass “sal” Israel bedeute. Die fehlenden Buchstaben steckten halt im A oder in der Sense. Totaler Quark. (‘Die Buchstaben steckten im A’ klingt irgendwie unanständig.) Es gab zwar schon erste Freimaurer in England, aber die wären wohl kaum nach Saint-Grégoire-du-Vièvre gekommen, um dort in französischer Sprache Bilderrätsel in die Kirche einzubauen.

Der Ritter eilt hinter seinem Pferd her. Eigenes Foto auf Wikimedia Commons, Lizenz: CC0/ Creative Commons public domain dedication/ gemeinfrei

Dem Alchemisten Fulcanelli folgend gibt es noch viel absurdere Erklärungen. Pferde seien Quellen in der Alchemie und der Ritter sei ‘Hermes Trismegistus entschleiert’, das Bilderrätsel stelle den ‘Triumph des Hermes’ dar und der Wolfsangriff sei der Kampf der beiden Naturen (Feuer und Wasser). Meine Güte. So kann man auch seine Zeit totschlagen.

Der Wolfsangriff, eigenes Foto auf Wikimedia Commons, Lizenz: CC0/ Creative commons public domain dedication/ gemeinfrei

Im Mittelalter reichte der Wald von Vièvre von Saint-Étienne-l’Allier bis zur Risle. Er hatte eine Fläche von etwa 50km² (5000 Hektar). Der Wald war voll mit allerlei gefährlichem Getier, Bären, Wildschweinen, Wölfen. Es ist unglaublich viel wahrscheinlicher, dass der künstlerische Maurer die Kirchenfassade als eine Art Zeitung oder Geschichtsschreibung nutzte. Pilger haben andauernd etwas in die Kirchenfassade geritzt, das hat man nicht so eng gesehen. Dann wären die Nachrichten etwa: König Heinrich ist vom Pferd gefallen. Wölfe haben das Dorf angegriffen. Krieg ist scheiße.

Wenn du andere Interpretationen auf Lager hast, ich würd mich freuen, von dir zu hören.

Der Wolfsangriff und mehr. Lizenz: public domain/ gemeinfrei

Quellen und weiterführende Informationen

Arthur Join-Lambert, Jean De Witte, François Lenormant, Robert de Lasteyrie : Les Inscriptions (Rébus et Énigmes) de l’Église de Saint-Grégoire-du-Vièvre in Gazette archéologique : recueil de monuments pour servir à la connaissance et à l’histoire de l’art antique. Band. 13, erschienen bei A. Levy in Paris 1888 S. 233–244, ISSN=20224788 (französisch)

l’église de saint Grégoire-du-Vièvre in Epistola, veröffentlicht am 4. Oktober (französisch)

Bernard Bodinier: L’Eure de la Préhistoire à nos jours. Erschienen bei Jean-Michel Bordessoules in Saint-Jean-d’Angély 2001, S.212 ISBN=2-913471-28-5 (französisch)

le mystère de Saint Grégoire. in Normandie Zoom (französisch)

8 thoughts on “Das Rebus von Saint-Grégoire-du-Vièvre

  1. Mensch, das ist interessant. Mögliche Antworten habe ich nicht, aber Lust, mich damit zu beschäftigen. Wenn Dan Brown das zu lesen kriegt, gibt es demnächst einen neuen Krimi.

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    • Haha ja, das stimmt. In diesem Département soll ja auch ein Templerschatz versteckt sein, das war zwar ein bisschen früher, aber wer weiß. 😉 Ich lad auch gleich – noch oder morgen – neue Fotos hoch. Bin da heute Abend noch mit einem Bekannten aus dem Dorf hingefahren.

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  2. Hat dies auf Was Tante Gertrud wohl bloggen würde rebloggt und kommentierte:
    Erst dachte ich, das iwrd ein langweiliges Wochenede, weil die Rätsel in der Zeitung so leicht waren, aber dann wurde das Wetter schön und ich bin ein bisschen beim Stadtteilfest gewesen. Zuhause finde ich dann im Internet dieses Rätsel. Spannend, nicht wahr? Am Liebsten würde ich sofort hinfahren und es mir angucken.

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  3. http://www.tetsche.de/tetsche-seite/archiv.php
    Unter den Comics ist jeweils ein Rebus, die Auflösung gibt es dann immer die Woche drauf. Selten religiös! 😛 Enjoy! 🙂

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    • Sex! Ja nee. Die Welt ist korrupt und falsch Sal! ist aber auch nicht besonders religiös. Die Kirche hatte in Frz früher die gleiche Funktion wie heute Nachrichtensendungen im Fernsehen. Bis zur Französischen Revolution verkündeten die Pfarrer die neuesten Neuigkeiten aus der Hauptstadt von der Kanzel. In der Revolutionszeit wurde ein Gesetz verabschiedet, wonach die Pfarrer das weiterhin tun mussten. Dann nämlich die neuesten Gesetze und Beschlüsse der Nationalversammlung. Die Leute konnten oft nicht lesen. Im 19. Jahrhundert konnten dann immer mehr Leute lesen und alles änderte sich.

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      • Heh – ich war auch etwas überrascht, Tetsche ist durchaus mal _an_ der Gürtellinie unterwegs; aber die letzten Wochen scheinen ja fast ständig ohne Zweideutigkeit direkt “zur Sache” zu kommen. Hat der alte Herr wohl Frühlingsgefühle! 😛
        Leider gibt es das Rebus nicht ohne den Comic – ist alles nicht ganz mein Ding, ich habe das nur mal empfohlen bekommen, ein paar probiert. Nicht mein Ding, selbst nach der Erklärung/Auflösung finde ich die Dinger oft zu weit hergeholt. Aber paßte halt zum Thema. *Achselzuck*

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  4. […] Version: hier. Saint-Grégoire-du-Vièvre is a village with 342 inhabitants. It lies a bit north of here, right […]

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  5. […] verziert. Die wurden aber im 16. Jahrhundert alle geklaut und durch Glasssteine ersetzt. Die Welt ist halt korrupt und falsch. Die Kiste besteht aus Kupfer und Gold auf einem Holzrahmen. Sie ist außerdem mit Blattgold bezogen […]

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